Daniel Mann1, Carsten Kötting1 und Klaus Gerwert1
Sehen, Riechen, Schmecken und die Regulation des Blutdrucks - all diese Prozesse werden von einer Familie körpereigener Proteine reguliert, den sogenannten heterotrimeren G-Proteinen [1]. Diese funktionieren wie ein Lichtschalter, der durch das Andocken eines kleinen Moleküls, Guanosintriphosphat (GTP) in der Bindetasche des Proteins angeschaltet wird. Das Ausschalten funktioniert durch Abspaltung einer der drei Phosphatgruppen zu Guanosindiphosphat (GDP), durch die GTP-Hydrolyse. Funktioniert dieser Schaltermechanismus nicht richtig, weil er z.B. durch Mutationen oder Pathogene gestört wird, führt dies zu schwerwiegenden Krankheiten, wie Cholera, Keuchhusten und Krebs. Ein grundlegendes Verständnis der molekularen Mechanismen, die in der Bindetasche heterotrimerer G-Proteine stattfinden, ist die Voraussetzung für die Entwicklung von Medikamenten.
FTIR-Spektroskopie
Die zeitaufgelöste Fourier-transformations Infrarot-(FTIR-) Spektroskopie ist eine Marker-freie Methode, um Proteinmechanismen räumlich und zeitlich mit hoher Genauigkeit aufzulösen (Abb. 1). Die Proteinreaktionen können in einem Experiment über mehrere Größenordnungen von Nanosekunden bis Sekunden mit subatomarer Auflösung beobachtet werden [2]. Zur Untersuchung des Schaltermechanismus dieser Proteine können diese heterolog in Kolibakterien hergestellt werden. Dazu wird ein Plasmid, das für die humane Form dieser Proteine kodiert, in die Bakterien eingebracht, die DNS wird abgelesen und in ein Protein übersetzt und anschließend gereinigt (Abb. 2). Um einen definierten Reaktionsstart in den FTIR Messungen zu erhalten, wird ein intrinsisch vorhandener Chromophor oder ein photo-aktivierbares GTP-Derivat (
cgGTP) an das Protein gebunden und anschließend mit einem Laserblitz eine Reaktion angeregt. Im Falle von
cgGTP wird durch den Laserimpuls die „photocaged“ Schutzgruppe abgespalten. Das Resultat ist das natürliche Substrat GTP, das vom Protein erkannt und hydrolisiert wird (Abb. 2). Somit läuft die Reaktion in der gesamten Probe synchron und kann im Spektrometer untersucht werden.
Die mit dieser Methode aufgenommenen Infrarotspektren enthalten Informationen über Geometrie und Ladungsverteilung des Substrats, des Proteins und des Lösungsmittels und die Geschwindigkeit der einzelnen Reaktionsschritte (Abb. 1). Durch Differenzbildung wird der sich nicht verändernde Hintergrund abgezogen und die Spektren enthalten nur Informationen über diejenigen Gruppen, die sich während der Reaktion ändern. Durch zeitaufgelöste Datenaufnahme lassen sich zusätzlich Effekte von Punktmutationen und die Bindung an Effektorproteine untersuchen [3]. Beispielsweise bewirkt die Punktmutation Gαi1-R178S, die auch bei der Cholera Erkrankung betroffen ist, eine Verlangsamung der Reaktion (Abb. 1, Rot). Bindung des Effektorproteins RGS4 (Regulator of G-Protein signaling 4) hingegen beschleunigt die GTP Hydrolysereaktion in Gαi1 (Abb. 1, Grün).
Die strukturelle Information ist allerdings in Form von Infrarotspektren codiert. Um diese Informationen in ein dreidimensionales Strukturmodell zu übersetzen, können biomolekulare Simulationen durchgeführt werden. Auch heutzutage sind nur quantenmechanische Simulationen ausreichend genau, um Infrarotspektren simulieren zu können. Durch die komplexe Berechnung von Elektronen und Atomkernen sind diese sehr rechenintensiv und können nicht für das gesamte Protein durchgeführt werden. Quantenmechanische/Molekularmechanische (QM/MM) Simulationen bestehen wie eine Zwiebel aus mehreren Schichten (Abb. 2) und betten den quantenmechanischen Teil der Bindetasche in den Rest des Proteins ein, der mittels klassischer Mechanik berechnet wird. Nur durch diese Hybrid-Methode wird das Rechenproblem lösbar, und es können Infrarotspektren aus dem Simulationsmodell berechnet werden [4].
Normalmodenanalyse
Dies geschieht durch die sogenannte Normalmodenanalyse, die die Kräfte, die auf GTP wirken, in Infrarotspektren umsetzt. Eine notwendige Voraussetzung für diese Normalmodenanalyse ist, dass sich das System in einem energetischen Minimum befindet. Durch den Abgleich von theoretisch berechneten Infrarotspektren mit experimentellen Daten lassen sich die komplexen experimentellen Daten in einen dreidimensionalen Film übersetzen, der die Positionen der Atome in der Bindetasche, ihre Flexibilität und ihre Ladung genau erfasst. Das Messsystem, wie auch die theoretischen Berechnungen wurden mit mehreren empfindlichen Tests überprüft. Durch Mutationen innerhalb der Bindetasche und durch den Austausch der natürlichen 16O Sauerstoffisotope mit schweren 18O Isotopen ändern sich die experimentellen und die berechneten Infrarotspektren. Diese Änderungen stimmen in Messungen und am Computer gut überein. Somit kann dieses System genutzt werden, um den molekularen Schaltermechanismus heterotrimerer G-Proteine zu untersuchen. Das Ergebnis ist, dass heterotrimere G-Proteine massiv die Geometrie und die Ladungsverteilung ihres Substrates ändern, um dieses hydrolisieren zu können. Dieser Effekt ist in Punktmutationen, wie sie beispielsweise bei der Entstehung von Krebs auftreten deutlich reduziert. Vor allem die Wirkungsweise von zwei positiv geladenen Aminosäuren innerhalb der Bindetasche, Arginin und Lysin, die direkt an das Substrat binden, konnte mit dieser Methodik erstmals aufgeklärt werden (Abb. 3).
Beide transferieren negative Ladung von der dritten Phosphatgruppe auf die zweite Phosphatgruppe und bereiten somit die Abspaltung der dritten Phosphatgruppe vor. Arginin bewegt sich dabei vom dritten Phosphat weg, was das Nachfließen negativer Ladungen nach sich zieht. Diese sub-atomaren Effekte können nur durch Kombination von Experiment und Theorie aufgeklärt werden. Die Forscher konnten zeigen, dass das Fehlen des Arginins, das beispielsweise durch Mutation beim McCune-Albright-Syndrom, einer sehr schweren Form der fibrösen Dysplasie auftritt, bereits durch spezielle Effektorproteine, den sogenannten „Regulators of G-Protein signaling (RGS)“, kompensiert werden kann (Abb. 1). Das könnte ein Ansatz zur Medikamentenentwicklung sein. Die Forschung an molekularen Schalterproteinen hat somit das Fernziel, mit den sehr detaillierten Mechanismen einmal zur Entwicklung von gezielt wirkenden Medikamenten gegen Krankheitsbilder, die von dieser GTPase verursacht werden, beizutragen. Dies wird präzisere Therapien gegen Krebs und andere schwerwiegende Krankheiten ermöglichen.
Zugehörigkeit
1 Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Biophysik, Bochum
Kontakt
Prof. Dr. Klaus Gerwert
PD Dr. Carsten Kötting
Ruhr-Universität Bochum
Lehrstuhl für Biophysik
Bochum
gerwert@bph.rub.de
koetting@bph.rub.de
Mehr zu FTIR Spektroskopie: https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/physikalische_chemie/praktikum/app_ir.pdf
Meilensteine der Spektroskopie: http://www.git-labor.de/forschung/chemie-physik/meilensteine-der-spektroskopie
Referenzen
[1] Milligan, G., and Kostenis, E. (2006) Heterotrimeric G-proteins: a short history. Br. J. Pharmacol. 147, S46-55 DOI: 10.1038/sj.bjp.0706405
[2] Kötting, C., and Gerwert, K. (2015) What vibrations tell us about GTPases. Biol. Chem. 396, 131–144 DOI: 10.1515/hsz-2014-0219
[3] Schröter, G., Mann, D., Kötting, C., and Gerwert, K. (2015) Integration of Fourier Transform Infrared Spectroscopy, Fluorescence Spectroscopy, Steady-state Kinetics and Molecular Dynamics Simulations of Gαi1 Distinguishes between the GTP Hydrolysis and GDP Release Mechanism. J. Biol. Chem. 290, 17085–17095 DOI: 10.1074/jbc.M115.651190
[4] Mann, D., Höweler, U., Kötting, C., and Gerwert, K. (2017) Elucidation of Single Hydrogen Bonds in GTPases via Experimental and Theoretical Infrared Spectroscopy. Biophys. J. 112, 66–77 DOI: 10.1016/j.bpj.2016.11.3195
[5] Gerwert, K., Mann, D. and Kötting, C. (2017) Common mechanisms of catalysis in small and heterotrimeric GTPases and their respective GAPs, Biological Chemistry. ISSN (Online) 1437-4315, ISSN (Print) 1431-6730, DOI: https://doi.org/10.1515/hsz-2016-0314
[6] Mann, D., Teuber, C., Tennigkeit, S. A., Schröter, G., Gerwert, K., and Kötting, C. (2016) Mechanism of the intrinsic arginine finger in heterotrimeric G proteins. Proc. Natl. Acad. Sci. 113, E8041–E8050 DOI: 10.1073/pnas.1612394113